Der Diversity, Equity & Inclusion Podcast von BeyondGenderAgenda
Vicky: Hallo und herzlich willkommen zu DrivingChange, dem Diversity Podcast. Ich bin Vicky Wagner, Gründerin und CEO von BeyondGenderAgenda und spreche mit meinen Gäst:innen darüber, was wir gemeinsam tun können, um die Themen Diversität, Chancengerechtigkeit und Inklusion auf die Agenda der deutschen Wirtschaft zu setzen.
Martin: Dass unsere Sprache inklusiver werden sollte, das ist, glaube ich, für uns ziemlich klar. Und dass wir, und da muss ich jetzt Männer ansprechen, wir unverkrampfter werden und wirklich auch verstehen, nur weil wir jahrhundertelang die männliche Form genommen haben, ist das nicht die Norm. Und wie sich Sprache auch an anderer Stelle verändert hat, wird sie sich auch da weiter verändern.
Vincent-Immanuel: Ich fand es ganz spannend, auch das nochmal so zu vergleichen. Man hört das ja ganz häufig von vielen Männer, die dann auch sagen „Naja, wir müssen Sprache nicht ändern, Frauen sind immer mitgemeint, wenn wir von Bürgern sprechen und so weiter“. Aber dann beim generischen Femininum, da ist dann immer ein großes Aha und Oho und unter vielen Männern das Gefühl, sie werden selber nicht mitgemeint.
Vicky: Meine heutigen Gesprächspartner sind Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer. Und damit ist es die erste Folge mit gleich zwei Gästen. Die beiden sind Autoren, Feministen und setzen sich für eine gerechtere Gesellschaft, ein geeignetes Europa und Geschlechtergerechtigkeit ein. Seit 2018 sind sie Botschafter der HeForShe Kampagne der UN Women, die sich für die Gleichstellung von Männern und Frauen engagiert. Schön, dass ihr da seid. Herzlich willkommen!
Vincent-Immanuel: Ja, vielen Dank. Wir freuen uns riesig dabei zu sein.
Martin: Klasse! Hallo!
Vicky: Hallo und das wird jetzt wirklich spannend, weil mit zwei Gästen ist es das erste Mal und ich liebe erste Male. Vielleicht fangen wir direkt damit an, dass ihr euch noch mal mit persönlichen eigenen Worten vorstellen. Zeit euren Fokus noch mal da setzt, wo es für euch wichtig ist. Wer mag starten?
Vincent-Immanuel: Ich fang gerne an! Erst mal freuen wir beide uns riesig, dass wir hier bei eurem Podcast dabei sein können. Mein Name ist Vincent-Immanuel Herr und ich bin ein Teil des Autoren und Aktivisten und Feministen Teams Herr und Speer. Ich finde diese Themen unglaublich wichtig und was ich mit „diese Themen“ meine, dann meine ich einerseits die Geschlechtergerechtigkeit und andererseits auch europäische Integration. Das sind die Themen, die uns bei Herr und Speer umtreiben. Und ich freue mich auch mehr darüber, heute mit euch zu sprechen und auch zu zeigen, weshalb vielleicht auch Europa und Feminismus ganz eng zusammengehören.
Martin: Und hallo von meiner Seite Martin Speer, in unserem Team kommen tatsächlich auch zwei Blickwinkel zusammen. Vincent ist Historiker, Soziologe. Ich bin Ökonom. Das war am Anfang unserer Zusammenarbeit nicht immer spannungsfrei. Aber wir haben sozusagen etwas sehr Produktives draus gemacht. Und wir glauben, dass auch unterschiedliche Perspektiven helfen, bessere Lösungen zu finden. Und das treibt uns nicht nur als Team an, sondern auch in unserem gesellschaftlichen Engagement. Und dieses Brückenbauen, das wollen wir auch im Feminismus.
Vicky: Hört sich super an. Und das Spannungsfeld ist sicherlich was, was es auch dynamisch hält und einen voranbringt. Dann erzählt mir doch gerne mal: Wie seid ihr denn, jeweils persönlich gerne, vielleicht einer nach dem anderen, ihr einigt euch darauf, zu eurem Engagement gekommen? Was war so der Keim des Ursprungs?
Vincent-Immanuel: Ich glaube, wenn man wirklich ganz vorne anfängt, dann muss ich da ein großes, ein großes Danke auch an meine Familie richten. An meine beiden Eltern. Ich sage es mal vielleicht so: Ich bin in der Familie aufgewachsen, wo Feminismus ein sehr natürliches und normales Wort war. Mir ist erst später aufgefallen, dass das nicht überall als spannungsfrei gesehen wird. Aber in dem Kontext, in dem ich aufgewachsen bin, war das ein Wort, wo Männer Feministen sein können und Frauen selbstverständlich Feministinnen sind. Ich habe es zum Bespiel von meiner Mutter früh gelernt, die eine Karriere als Hochschulprofessorin gemacht hat, wie schwierig es für Frauen in der Arbeitswelt ist, gerade wenn es um höhere Führungspositionen geht, sich oft gegen Männer durchzusetzen, die da vielen Frauen das Leben sehr, sehr schwer machen. Das hat sie uns am Abendbrottisch erzählt, mir und meiner Schwester und natürlich auch meinem Vater. Gleichzeitig habe ich bei meinem Vater gesehen, der viel Zeit mit mir, meiner Schwester verbracht hat, also auch viel Care-Arbeit übernommen hat, dass es auch ein anderes Modell gibt. Also ein bisschen es gibt zwei Männer Modelle. Es gab die Männer an der Hochschule, die nicht wollten, dass Frauen in Führungspositionen gehören, die meiner Mutter wortwörtlich gesagt haben „Du gehörst nicht an die Uni, gehörst zu deinen Kindern.“ Und dann gibt es eben auch Männer, die gerne Care-Arbeit übernehmen, die Frauen unterstützen und die sich auch nicht eingeschüchtert fühlen von Frauen, die in Führungspositionen wollen oder die Karriere machen wollen. Das war für mich der Startpunkt. Aber ich glaube, da kann vielleicht Martin vielleicht ein bisschen mehr zu sagen. Auch wenn man so startet, muss man das Thema trotzdem sich auch noch selber zu eigen machen. Und für mich ist das über viele Gespräche oder waren viele Gespräche der Auslöser für Gespräche mit meiner Mutter, mit meiner Schwester, mit meiner jetzigen Frau, mit Frauen in meinem Umfeld, von denen ich immer wieder gehört habe, wie sehr oder wie häufig Sexismen vorkommen, im kleinen und im großen Maßstab. Und dass das sozusagen ein Problem ist, das nicht nur weit weg passiert und vielleicht in anderen Ländern oder in anderen sozialen Schichten, sondern ein Problem, das die meisten Frauen, mit denen ich gesprochen habe, ganz direkt betrifft. Und dass wir als Männer eben auch ein Teil der Lösung sein können. Ich lasse es erst mal hier und ich glaube, Martin kann ganz gut übernehmen.
Martin: Mein Zugang zum Thema ist tatsächlich ein anderer und er könnte auch manchmal nicht kontrastreicher sein als vielleicht das Aufwachsen von Vincent. Ich bin am Land aufgewachsen mit Eltern, die aus der DDR über Prag geflohen sind. In der Rückschau war es nie wirklich so, dass Geschlechtergerechtigkeit oder Feminismus zu Hause ein Thema war. Und ich bin auch in Mittelfranken Umfeld aufgewachsen, in dem schon auch eher ein klassischeres Rollenverständnis präsent waren, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Dieses Ungleichgewicht gab es auf eine Art und Weise auch bei uns zu Hause, aber es wurde nie thematisiert. Auf eine Art und Weise habe ich es auch nie gesehen. Erst in der Rückschau und vielleicht kommen wir da später noch mal drauf, auch durch die Gespräche, die Vincent und ich von Mann zu Mann geführt haben, ging für mich auch erst mal überhaupt eine Tür auf, dass irgendwas schiefläuft, dass ich sozusagen meine Brillengläser vielleicht wechseln sollte. Und dann wurde mir später eben auch bewusst, dass ich vielleicht doch eine feministischere Mutter hatte, als mir eigentlich bewusst war. Sie war irgendwann alleinerziehend. Sie hatte die Prägung aus der DDR, kam dann aber in den Westen in ein Umfeld, was dann doch auch sehr anders geprägt war. Da gab es ein Spannungsverhältnis, da gab es irgendwie auch unterschiedliche Rollenerwartungen, manche, die auch sie nicht erfüllen konnte. Aber für vieles davon war ich am Anfang blind. Wie auch generell, und das treibt auch unsere Arbeit an, viele Männer, die beim Thema Geschlechtergerechtigkeit blind sind oder noch die Dinge zu verschwommen sehen. Das Schöne ist aber, man kann das ändern. Der Perspektivwechsel kann gelingen und man kann die Brillengläser wechseln.
Vicky: Ja, spannend. Da wollen wir auf jeden Fall von dir hören und lernen. Ja, wie dieses Wechseln leichter gelingen kann. Denn dass das immer noch eine Herausforderung für den einen oder anderen oder auch für die ein oder andere ist, das ist ja klar und der Fall. Spannend! Ich danke euch für diesen sehr persönlichen Einblick. Und ihr seid seit 2018 gemeinsam mit vier weiteren Männern HeForShe Botschafter für UN Women Deutschland und habt euch zum Ziel gesetzt mehr Männer für das Thema, das habt ihr eben auch erzählt, Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren. Wie kam es zu dieser Botschafterrolle und wie würdet ihr den bisherigen Weg bewerten, beurteilen? Wie weit seid ihr gekommen?
Vincent-Immanuel: Ja, tolle Frage. Also vielleicht erstmal, um ein bisschen auszuholen, HeForShe ist wirklich eine ganz großartige Kampagne, die von UN Women in New York 2014 initiiert wurde und mit dem Ziel, niedrigschwellig ein Angebot zu bieten, um Männern und Jungs zu zeigen, dass der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit auch für sie ist, dass es auch eine Rolle für sie gibt und sie auch gebraucht werden. Und genau wie du schon sagst, seit 2018 hat das Deutsche Komitee von UN Women eine eigene HeForShe Kampagne ins Leben gerufen. Es waren zunächst vier Botschafter, mittlerweile sind sechs inklusive uns beiden. Und genau wie wir daran gekommen, das war eigentlich ein ganz spannender Weg. Wir hatten vor ein paar Jahren, als wir uns wie Martin auch geschildert hat, unter uns über das Thema viel unterhalten hatten, hatten wir tatsächlich eine Idee, eine Art Anleitung zu schreiben für Männer zum Feministen werden. Da haben wir uns mit Frauen in unserem Umfeld unterhalten und so eine Art fünf Schritte Plan entwickelt, an denen es bei Zeit Online angeboten wurde, der auch 2016 veröffentlicht. Dieser Artikel wiederum wurde gelesen von einer Mitarbeiterin bei UN Women Deutschland. Die fand das spannend, hatte uns danach kontaktiert und seitdem waren wir auch mit den Damen, von UN Women Deutschland in Kontakt. Das ist wirklich eine tolle Organisation, die machen ganz tolle Arbeit, sitzen hauptsächlich in Bonn, haben aber auch jeweils ein bis zwei Mitarbeiterinnen hier in Berlin. Und in den nächsten zwei Jahren waren wir mit ihnen regelmäßig im Kontakt und hatten auch über diese Idee von HeForShe schon mehrfach gesprochen. Und 2018 kam es dann zu der Aufsetzung des richtigen Programms. Und da kann ich sagen, das war auch eine echte Ehre und Freude, dass wir da dann dabei sein durften.
Martin: Und was das sozusagen vielleicht auch tut, und du hattest von dem Ziel gesprochen, also das Netzwerk und der Austausch hilft uns sehr, auch unsere eigene Perspektive stetig weiterzuentwickeln. In dem Botschafterkreis kommen wir aus unterschiedlichen Hintergründen und tatsächlich bei einer Person wie Gerhard beispielsweise, der seit sehr, sehr vielen Jahren sich mit dem Thema Gewalt in Beziehungen, auch der Gewalt von Männern gegenüber Frauen auseinandersetzt, lernen wir wahnsinnig viel darüber oder von Anil darüber, wenn man aus anderen kulturellen Prägungen kommt, welche Kämpfe man da zu kämpfen hat. Also es ist ein sehr, sehr fruchtbares Zusammensein. Und wie immer beim Feminismus, wenn man als Mann da eine unterstützende Rolle hat, ist das ein stetiges Dauerlernen. Und da können wir uns sowohl im Austausch mit Frauen als auch im HeForShe Kreis sehr gut helfen.
Vincent-Immanuel: Und vielleicht noch auch nur noch ergänzend: Ich glaube, was wir schon sehen in den letzten Jahren ist, dass es ein steigendes Interesse an diesem Thema gibt. Sozusagen mit Männern drüber zu sprechen oder auch Formate aufzusetzen, in denen beispielsweise Männer mit Männern dazu sprechen. Also wir kriegen da mehr Anfragen dazu. Ich glaube unsere HeForShe Kollegen auch. Also ich glaube in dem Sinne, es ist noch ein weiter Weg und viele Männer haben auch noch ein Stirnrunzeln, wenn wir von diesen Sachen sprechen. Aber ich glaube, es zeigt sich so, dass da eine gewisse Offenheit mittlerweile herrscht, dass auch Männer eine Rolle, eine unterstützende Rolle, das glaube ich der wichtige Punkt, im Feminismus spielen können und dass da mehr drüber geredet wird. Oder es ist der Wunsch besteht, darüber mehr zu sprechen.
Vicky: Ja, ich glaube, es muss vor allen Dingen so aus meiner Wahrnehmung natürlicher einfließen und eine natürlichere Haltung werden, was vermutlich auch mit der aktuell immer noch sehr weitreichenden Besetzung und Interpretation des Begriffs zusammenhängt. Denn ich meine, wir sehen ja auch, dass Frauen sich super schwertun mit der Begrifflichkeit und das darin ja oft eine starke Bevorzugung von Frauen verstanden wird und dass das irgendwie aneckt. Ich meine jetzt jüngst unsere Bundeskanzlerin, die zum ersten Mal gesagt hat „Ja gut, also wenn Sie sich den Begriff jetzt noch mal überlegt, ist sie vielleicht doch irgendwie Feministin“, oder sie kann gar nicht sagen, dass sie es nicht ist. Aber da sieht man auch, welche letztendlich welche Entwicklung diese Begrifflichkeit nimmt, so dass da noch ganz viel Aufklärungsarbeit einfach zu leisten ist. Wie bewertet ihr das?
Vincent-Immanuel: Also wir finden den Begriff Feminismus oder auch Feministin oder Feminist ist echt ein schöner Begriff. Wir finden ihn auch einen wichtigen Begriff. Wenn ich mir das so anschaue, dann sehe ich da auch einfach eine lange Geschichte von starken Frauen, die sich gegen Widerstände ihre wohlverdienten Rechte erarbeitet haben, da auch für gekämpft haben. Und deswegen bin ich mal ein bisschen kritisch. Zumindest ich persönlich würde den Begriff nicht einfach über Bord werfen, weil ich glaube er ehrt auch diese Geschichte, diese starken Frauen, die da seit über 100 Jahren erst das Wahlrecht, dann häusliches Recht und alle möglichen weiteren Sachen erkämpft haben und das weiterhin auch tun. Deswegen glaube ich, ich finde es auch wichtig für mich persönlich. Ich benutze den Begriff gerne. Ich finde, am Ende des Tages ist der Begriff glaube ich gar nicht ganz so wichtig. Aber ich glaube, es geht wirklich eher um eine Einstellung. Aber vielleicht auch noch mal andersherum. Die Frage: Warum ist denn der Begriff so negativ konnotiert? Das kommt ja auch nicht einfach von irgendwo. Ich würde sagen, es liegt daran, dass Medien und gerade auch viele Männer in machtreichen Positionen diesen Begriff jahrzehntelang diskreditiert haben. Jahrzehntelang Frauen, die für Gleichberechtigung gekämpft haben, als hysterisch, als weltfremd, als übertrieben abgestempelt haben. Und dann ist es doch kein Wunder, dass dieser Begriff, wenn der jahrzehntelang, gerade auch in großen Medien, in großen Foren der Meinung immer wieder so durch den Schlamm gezogen wird, dass der dann auch so negativ behaftet bleibt. Ich glaube, andersherum können wir vielleicht auch heute als Männer unseren Beitrag leisten, dass der Begriff eben wieder dahin kommt, wo er hingehört, nämlich wirklich als Einsatz für eine Welt der Gleichberechtigung, in der Männer, Frauen und alle anderen die gleichen Rechte, Chancen und Möglichkeiten haben. Das ist keine radikale Forderung und in einer idealen Situation sollte das gar nicht so doll anecken, finde ich.
Martin: Und was da vielleicht auch manchmal für Aha-Momente sorgt, ist, wenn Männer auch verstehen, dass Feminismus nicht etwas ist, was weit weg von ihnen stattfindet, was sie nichts angeht, sondern dass das ganz viel mit ihnen zu tun hat, also mit ihnen selbst. Also sei es in ihrem Verhalten, dass sie tatsächlich auch oftmals unbewusst, manchmal sehr bewusst, Teil des Problems sind, aber andererseits, dass der Feminismus auch eine Befreiung für den Mann ist, weil auch er dadurch aus starren Rollenbildern rauskommt, die ihn einengen. Also der Feminismus ist der Weg zu einer echt besseren, gesünderen, erfolgreicheren Gesellschaft für alle und mehr Männer sollten das bitte verstehen.
Vicky: Genau da stellt sich mir die Frage, ob sie die Rollenbilder aktuell als einengend empfinden oder ob es für den einen oder anderen vielleicht auch noch eine Art Sicherheit und Sicherung des Machtkonstrukts bedeutet und man einfach Sorge davor hat, wenn man das aufbricht, was dann passiert. Aber ganz, ganz spannender Punkt und ihr hattet es vorhin in eurer Einleitung auch erzählt, also euch ist das Thema Europa ja auch sehr wichtig und ihr habt ein neues Buch veröffentlicht vor kurzem. Der Titel „Europa Future 95 Thesen, die Europa retten“, in dem ihr handfeste Reformideen liefert. Ja, da würde ich gerne mehr zu erfahren. Woher kommt die Idee, die Motivation? Und was müssen wir am dringendsten wie umsetzen?
Martin: Fragen von Europa in Geschlechtergerechtigkeit gehören für uns zwangsläufig ganz eng zusammen. Nicht nur, weil es für eine Gesellschaft besser ist, wenn sie alle Potenziale aktiviert, sondern dass auch viele sozusagen Stolpersteine auf dem Weg hin zu mehr Demokratie, zu mehr Stabilität, zu mehr Frieden auch dahin liegen, dass es eben noch Geschlechterungerechtigkeit gibt. Die gibt es in allen EU-Staaten mal mehr, mal weniger, aber es gibt sie und das ist eine Realität, gegen die wir immer noch sozusagen ankämpfen müssen. Und in dem Buch machen wir 95 konkrete Vorschläge, wie die EU eben demokratischer, gerechter, feministischer, vielleicht auch selbstbewusster werden kann. Und wenn man mal zwei herausgreift: Das Thema Geschlechtergerechtigkeit spielt immer wieder eine Rolle, aber auch sehr explizit, beispielsweise bei der Forderung nach einem Paritätsgesetz für das Europäische Parlament. Momentan sitzen dort ungefähr 40 Prozent Frauen drin. Da geht mehr. Das ist mehr als in manch nationalem Parlament. Aber vielleicht über ein kluges Reißverschlußverfahren könnte man auch mehr Frauen ins Europäische Parlament bekommen oder eben auch, darüber haben wir kürzlich auch bei Capital geschrieben, warum verbieten wir nicht einfach Lohnungerechtigkeit in der EU, sind da viel strikter? Da schauen wir in dem Buch nach Island, die durchaus mit mehr Ambition gegen Lohnungleichheit kämpfen, das sozusagen auch stärker ahnden. Und da würden wir uns wünschen: Lasst uns Europa zum ersten Kontinent machen, der nicht nur klimagerecht ist, sondern eben auch auf dem es keine Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern gibt.
Vicky: Also neben dem Green Deal einen Gender Deal. Vincent-Immanuel, was sagst du dazu?
Martin: Das ist wunderbar gesagt.
Vincent-Immanuel: Ich glaube, ich kann mir gar nicht so viel hinzufügen. Vielleicht ein spannender Punkt. Als wir angefangen haben das Buch zu schreiben. Muss man sich als Autor oder auch als Autorin die Frage stellen, wie man das Buch schreibt, gerade im Deutschen, wie man mit allgemeinen Aufzählungen und Erklärungen umgeht. Und wir haben uns nach ein bisschen Hin und Her entschieden, das gesamte Buch im generischen Femininum zu schreiben. Also bei allgemeinen Aufzählungen immer den weiblichen Begriff zu benutzen. Wir sprechen von Politikerinnen, von Wählerinnen, von Europäerinnen und meinen dann immer alle anderen Menschen mit. Es wird auch am Anfang des Buches kurz erklärt und es war tatsächlich für uns auch eine Art Experiment, zu schauen was macht das mit unserem Denken, wenn wir immer automatisch den weiblichen Begriff benutzen, für nicht spezifische Aufzählungen. Es war sehr interessant. Also ich kann nur für mich selber sprechen. Die ersten Tage war das sehr ungewohnt beim Schreiben, es hat sich nicht natürlich oder normal angefühlt, wie man das so sagen kann. Aber nach zwei, drei Tagen hat sich das wirklich geändert und ich habe es gar nicht mehr gemerkt und fühlt sich vollkommen normal an von Wählerinnen zu sprechen, von Senatorinnen, von Expertinnen und so weiter. Und das hat mir auch gezeigt, dass Sprachgefühl eben auch mit Sprachpraktik zusammenhängt und wie wichtig das auch ist, auch über andere Sprachpraktiken nachzudenken, zu schauen was können wir auch daraus lernen. Und was wir interessant finden ist auch die Reaktion zu sehen, die wir auf das Buch bekommen. Es gibt einige Leute, denen fällt das gar nicht auf. Die haben sozusagen, die gegenderte Sprache schon so im Alltag integriert, dass die das eh schon vielleicht machen. Dann sagen andere „Tolles Buch, aber dieses generische Femininum ist völliger Blödsinn und vorauseilender Gehorsam“ und so weiter. Also es gibt eine sehr große Breite der Reaktion. Aber das ist vielleicht auch noch ein Punkt, wo wir, glaube ich, diese zwei Punkte Europa und Geschlechtergerechtigkeit auch noch mal versucht haben, hier direkt zusammen zu bringen.
Vicky: Ja, ganz spannend. Und mich würde interessieren, was würdet ihr denn empfehlen? Also würdet ihr denn sagen, das generische Femininum ist es oder das Gendersternchen? Oder wie sollten wir denn mit Sprache umgehen? Das ist ja eine sehr hitzige Diskussion. Ich weiß es nicht, ob es den Weg der Weisen grundsätzlich gibt, aber mich würde eure Meinung natürlich sehr interessieren.
Martin: Ich habe dazu zwei Gedanken. Das eine ist erstmal zu akzeptieren, dass Sprache lebt und sich verändert. Das war schon immer so, das wird immer so sein. Punkt. Ich glaube, das hat noch nicht jeder begriffen. Und jetzt habe ich explizit die männliche Form genommen und der andere Punkt ist und dann vielleicht trotzdem ein bisschen mit einer Agilität und Freiheit da reinzugehen. Wir haben uns jetzt für dieses Buch, für das generische Femininum entschieden. In dem Buch davor haben wir immer abgewechselt. Manchmal verwenden wir privat gerne den Doppelpunkt oder das Sternchen. Aber dass unsere Sprache inklusiver werden sollte, das ist, glaube ich, für uns ziemlich klar. Und dass wir, und da muss ich jetzt Männer ansprechen, wir unverkrampfter werden und wirklich auch verstehen, nur weil wir jahrhundertelang die männliche Form genommen haben, ist das nicht die Norm. Und wie sich Sprache auch an anderer Stelle verändert hat, wird sie sich auch da weiter verändern.
Vincent-Immanuel: Ich fand es ganz spannend, auch das nochmal so zu vergleichen. Man hört das ja ganz häufig von vielen Männern, die dann auch sagen „Naja, wir müssen Sprache nicht ändern, Frauen sind immer mitgemeint, wenn wir von Bürgern sprechen und so weiter“. Aber dann beim generischen Femininum, da ist dann immer ein großes Aha und Oho und unter vielen Männern und das Gefühl, sie werden selber nicht mitgemeint. Gibt es ja auch so lustige Vorschläge, wie das Kanzleramt soll ab jetzt Kanzlerinnenamt heißen, auch wenn ein Mann wieder einzieht und so weiter. Und das zeigt dann ja auch so ein bisschen, dass Männer einerseits gerne fordern, dass Frauen sich eingeschlossen fühlen sollen oder auch nicht-binäre Menschen, andererseits glaube ich, sich sehr schnell selber ausgeschlossen fühlen, wenn es nicht die männliche Form ist, das weist zumindest ein bisschen auf das Problem hin. Ich glaube, es gibt keine perfekte Lösung, aber ich glaube, es ist wichtig, darüber zu sprechen und Sachen vielleicht auch auszuprobieren und darüber miteinander ins Gespräch zu kommen, und zwar in respektvolles Gespräch. Und am Ende des Tages heißt das für Männer, für uns Männer, dass wir auch mehr darauf hören, wie sich die Menschen fühlen, die aktuellen Sprachpraktiken nicht einbezogen sind. Also fühlen sich Frauen einbezogen, wenn man das generische Maskulinum verwendet? Fühlen sich nicht-binäre Menschen einbezogen, wenn man keine Sternchen verwendet und so weiter. Von daher, ich glaube, wir sind gar nicht in der Position zu sagen, wie es laufen soll. Ich würde eher sagen, die Menschen, die bisher von Sprachpraktiken profitieren und mit eingeschlossen sind, sollten ein bisschen mehr auf die hören, die bisher nicht so viel vorkommen. Und da würde ich sagen, im Zweifelsfall würde ich fast die Frage an dich zurückgeben, was du darüber denkst. Wie machst du das? Oder was können wir als Männer dann noch lernen?
Vicky: Also ich sehe das tatsächlich genau wie ihr. Ich finde, wir müssen in den Dialog kommen und wir müssen unsere Sprache allgemein öffnen und schauen, dass wir eben möglichst viel Vielfalt ansprechen. Ich bin aber auch niemand, der sagt, es geht nur so oder es geht nur so, sondern ich finde euren Ansatz des Ausprobierens und des Mitnehmens und des Befragens und den Dialog anzuregen genau richtig und vertrete das genauso. Und ich glaube, wir werden uns da finden, aber es braucht da eben auch Menschen wie uns, die immer wieder zu Diskussionen anregen und Meinungen auch hören wollen, damit sich was weiterentwickelt. Weil Fakt ist, so wie es aktuell der Sprachgebrauch ist, grenzt es viele Menschen aus und das ist einfach nicht gut. Das ist tatsächlich da meine Meinung. Ich würde gerne noch mal auf was eingehen, der Gedanke kam mir eben, als ihr so engagiert über Europa gesprochen habt. Und ich, ich kaufe alle eure Punkte und ich finde die Thesen gut und ich finde die Ideen gut und frage mich aber jetzt so kurz nach der Bundestagswahl: Was würdet ihr denn dort an die deutsche Regierung adressieren? Wir befinden uns mitten in den Sondierungsgesprächen. Es ist schon relativ begrenzt, was es noch für Koalitionsgruppierungen geben kann, das dünnt sich von Tag zu Tag etwas mehr aus. Was würdet ihr denn von unserer zukünftigen deutschen Regierung fordern, dass sich da was tut? Weil ich finde den Anspruch an Europa gerichtet sehr gut. Es ist ein wundervoller Rahmen. Aber letztendlich haben wir auch ganz furchtbar viele Hausaufgaben hier vor Ort zu machen, meiner Meinung nach und mich würde eure interessieren.
Martin: Von meiner Seite aus drei Punkte: Das Erste was ich glaube, jeder sollte Europe for Future lesen und die 95 Thesen durcharbeiten, da sind viele Ideen dabei. Also vielleicht so auf die Leseliste für die Koalitionsverhandlungen. Zweiter Punkt, in den Wahlprogrammen aller war vielmehr Europa Stoff als im Wahlkampf vorkam. Da hätte man vermehrt darüber reden müssen. Aber in den Programmen stecken echt coole Ideen auch quer durch die Bank, unabhängig von der politischen Färbung, außer vielleicht in den Extremen. Und das andere ist und das ist vielleicht, damit startet das Buch auch, mit der These 1 tatsächlich: Lasst uns den Mut haben, einen neuen Verfassungsprozess in Europa noch mal in Gang zu setzen, weil so eine Verfassung wirklich den Rahmen für ganz vieles schafft und so ein wirklich ein stabiles Fundament auch für ein werteverbundenes Europa legen kann. Und ich denke, das steht relativ weit oben auf der Wunschliste.
Vincent-Immanuel: Hier vielleicht nur noch hinzuzufügen ich glaube, ich könnte das gar nicht so richtig trennen in Fragen und Probleme, die Deutschland betreffen und Fragen, die nur Europa betreffen. Ich glaube, diese Themen hängen ganz eng miteinander zusammen. Und ich glaube, wir beide sind überzeugte Europäer. Und ich glaube, wir würden immer dafür plädieren, Probleme tendenziell auf der europäischen Ebene zu lösen, in der Hoffnung und dem Glauben, dass das dann eben auch sehr positive Effekte hat auf die Mitgliedstaaten, die Regionen, die Städte und so weiter und so fort. Von daher stimme ich Martin zu: Im Wahlkampf kam Europa viel zu kurz. Ich hoffe auch, dass eine deutsche Bundesregierung sich der eigenen Verantwortung für Europa bewusst ist, besonders wichtig aufgrund der Größe dieses Landes und des Einflusses. Und von daher hoffe ich, dass der Wahlkampf jetzt kein schlechtes Omen war für den Einsatz der nächsten Koalition. Ich glaube es nicht, aber ich wünsche mir da manchmal noch einen Tick mehr Mut und ein bisschen weniger Verwalten und Zögern.
Martin: … und auf eine feministischere Regierung. Aber mal gucken, wo es hinläuft.
Vicky: Ja, das bleibt zu mindestens sehr spannend. Wir sind leider schon am Ende unseres schönen Podcasts und unseres Austauschs. Was mich zum Ende jetzt noch mal interessieren würde: Wir haben eben gesagt Europa Gender Deal. Wenn ihr vielleicht noch mal die zwei dringlichsten Themen zusammenfasst, die dieser Deal beinhalten müsste für alle Mitgliedstaaten, damit wir schnell tatsächlich den Wandel erleben und es besser wäre, welche zwei wären das?
Martin: Also ich würde sagen Care Gap und Pay Gap schließen. Das sind zwei zentrale Stellen. Wir reden auch super viel über den Pay Gap und wir haben in jüngster Zeit wirklich noch viel stärker verstanden, was für eine zentrale Rolle der Care Gap besonders hat. Und da hängt dann ganz viel hinten dran, aber das wären aus meiner Perspektive zwei in dem Spektrum ganz wichtige Punkte.
Vicky: Ja, und was natürlich für diese beiden Punkte spricht, sie sind beide messbar in den Ergebnissen. Dass liebe ich immer, je mehr Messbarkeit wir haben, desto mehr können wir Fortschritt dann auch dokumentieren.
Martin: …und eben Erfolgserlebnisse auch zu haben, die uns motivieren, weiterzumachen.
Vicky: Ganz genau. Und was sind deine? Oder sind es dieselben?
Vincent-Immanuel: Care Gap muss ich mich anschließen. Ich bin gerade selber in Elternzeit. Es macht unglaublich Spaß. Gleichzeitig, wenn ich mir die Zahlen angucke, das machen noch viel zu wenig Männer. Wir haben uns ja fürs Buch auch Zahlen aus dem europäischen Ausland angeschaut. Da ist es sehr ähnlich. Es gibt das schöne Glanzlicht Schweden, da läuft das ganz gut. Das liegt aber daran, dass die eben auch gute Strukturen haben. Genau diese Väterquote 90 Tage, die nur Männer nehmen können, dann aber auch sehr gut bezahlt und paar andere Sachen. Also ich glaube gerade was Strukturen für Elternzeitmöglichkeiten angeht, gerade für Männer kann Deutschland unglaublich viel machen, kann die EU unglaublich viel machen. Der andere Punkt, den ich sehr wichtig finde, ist Prävention von Gewalt oder an Frauen und Mädchen. Genau Prävention, Aufklärungsarbeit und dann aber wirklich auch, und da fallen mir jetzt auch nicht die ganz konkreten superguten Lösungen jetzt hier alle auf einen Schlag ein, aber wirklich, ich glaube, es ist so wichtig, dass Männer dieses Thema auch untereinander viel mehr besprechen, weil wir reden ganz häufig über die Zahlen, wie viele Frauen Opfer von Gewalt werden, Opfer von allen möglichen sehr, sehr unschönen Sachen. Wir reden, aber viel weniger finde ich darüber, dass fast alle dieser Täter Männer sind, 99 Prozent und so weiter und so fort. Das heißt wir können nicht so tun, als sei das nur weit weg und würde keinen Mann betreffen, den wir kennen. Ich glaube dieses Thema viel mehr zu thematisieren, würde ich sehr, sehr wichtig finden.
Vicky: Ja, herzlichen Dank für eure sehr konkreten Hinweise und letztendlich auch Verbesserungsvorschläge und Ideen, dass ihr die heute so persönlich mit uns geteilt habt. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Habt ihr denn noch eine Frage für mich mitgebracht?
Vincent-Immanuel: Ja, tatsächlich würde es uns unglaublich interessieren: Wenn wir dich sozusagen als Männer Fragen, die den Feminismus und die Geschlechtergerechtigkeit unterstützen wollen, was wäre dein Tipp für uns? Wie können wir als Männer am besten helfen?
Vicky: Tatsächlich, ich muss sagen, ich bin über eine liebe Kollegin auf euch aufmerksam geworden. Und ich glaube, dass Menschen, die sehr interessiert in der Thematik unterwegs sind, gar nicht an euch vorbeikommen. Das es aber tatsächlich noch mehr Öffentlichkeit bedarf und dass ihr noch mehr Männer in die Überzeugung bringt, dass es überhaupt nicht weh tut, Feminist als Mann zu sein und das tatsächlich auch sich trauen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Weil ich erlebe das selber auch in meinem eigenen Kontext permanent im privaten wie im beruflichen Bereich, dass es einfach Berührungsängste mit den Begrifflichkeiten gibt, sei es das Gendern, sei es der Feminismus. Wir können da eine riesen Klaviatur aufmachen und es braucht Role Models wie euch, die sich trauen, da nach vorne zu gehen und aufzuklären und auch so offen an die ganze Thematik herangehen. Und ich würde mich freuen, wenn ihr noch mehr Gleichgesinnte überzeugen könnt und noch lauter und noch sichtbarer in der Öffentlichkeit agiert.
Martin: Herzlichen Dank! Das nehmen wir als Ansporn. Wir freuen uns drauf.
Vicky: Ja und wir freuen uns darauf zu unterstützen, wo wir können. Und nochmal herzlichen Dank für das schöne Gespräch und bis ganz bald. Das müssen wir definitiv fortsetzen.
Vincent-Immanuel: Vielen, vielen Dank, Vicky.
Vicky: Sehr, sehr gerne.
Vicky: Ich hoffe, euch hat diese Folge von DrivingChange, dem Diversity Podcast gefallen. Neue Folgen gibt es immer donnerstags. Und damit ihr keine Folge verpasst, abonniert uns gerne auf allen gängigen Podcast Plattform und folgt uns auf LinkedIn, Instagram und Twitter.
Falls ihr Ideen habt, welche Gäst: innen ich einmal in unserem Podcast einladen soll, mach doch gerne einen Vorschlag. Ich freue mich darauf und immer über euer Feedback. Bis zum nächsten Mal, eure Vicky.