Driving Change - Der Diversity Podcast

Driving Change - Der Diversity Podcast

Der Diversity, Equity & Inclusion Podcast von BeyondGenderAgenda

Transkript

Zurück zur Episode

DRIVING CHANGE

Der Diversity Podcast von BeyondGenderAgenda

Gemeinsam mit ihren Gäst: innen setzt CEO und Gründerin Victoria Wagner die Themen Diversity, Equity und Inclusion (DE&I) auf die Agenda der deutschen Wirtschaft. DE&I bezogene Fragen und aktuelle Ereignisse werden erörtert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Durch das Teilen persönlicher Erfahrungen und konkreter Lösungsansätze wird ein Beitrag zu einer diverseren und inklusiveren Wirtschaft geleistet.

Gemeinsam mit ihren Gäst: 07.07.2022 EPISODE MIT TUĞBA TEKKAL - ehemalige Profi-Fußballerin, Mitgründerin von HÁWAR.help und Initiatorin der Scoring Girls

Tuğba: Der Fußball hat eigentlich mein komplettes Leben verändert, weil ich zum Ersten Mal irgendwie, als ich dann auf dem Trainingsplatz stand und im Verein spielen durfte, festgestellt habe, dass es gar nicht so wichtig ist, wo ich herkomme, was für eine Religion ich habe oder oder oder. Sondern, dass es einfach nur darum ging, dass wir als Team am Wochenende Spiele gewinnen.

Vicky: Hallo und herzlich willkommen zu Driving Change, dem Diversity Podcast. Ich bin Vicky Wagner, Gründerin und CEO von BeyondGenderAgenda und spreche mit meinen Gäst:innen darüber, was wir gemeinsam tun können, um die Themen Diversität, Chancengerechtigkeit und Inklusion auf die Agenda der deutschen Wirtschaft zu setzen. Meine heutige Gesprächspartnerin ist Tuğba Tekkal. Tuğba ist ehemalige Profifußballerin und hat mit ihren Schwestern zusammen die Organisation HÁWAR.help gegründet. Tuğba setzt sich dafür ein, Frauen und Kindern und marginalisierten Gruppen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten zu verschaffen, damit für sie ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Schön, dass du da bist, liebe Tuğba, herzlich willkommen.

Tuğba: Danke für die Einladung.

Vicky: Sehr gerne. Mit großem Vergnügen. Magst du dich mal mit persönlichen Worten vorstellen und so ein bisschen Hintergrund geben, wer du bist?

Tuğba: Gerne. Also ja, du hast es gesagt, mein Name ist Tuğba Tekkal. Ich bin ehemalige Bundesligaspielerin. Ich habe viele Jahre in der Bundesliga Fußball gespielt und Menschenrechtsaktivistin. Habe ich mir nie so wirklich ausgesucht. Können wir vielleicht gleich noch ein bisschen darauf eingehen. Und ich habe das Projekt Scoring Girls initiiert, was sich an junge Mädchen richtet, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, aber vor allem mit Fluchterfahrung. Und die bekommen an mehreren Tagen Fußballtraining, Bildungsangebote und diverse andere Dinge. Und die Scoring Girls sind tatsächlich nicht losgelöst von meiner persönlichen Geschichte zu verstehen.

Vicky: Ja, und da wollen wir natürlich nochmal im Detail drauf eingehen. Und du hast es gerade schon gesagt, du bist Jesidin, du bist mit zehn Geschwistern in Hannover aufgewachsen. Deine eigene Geschichte hat dich natürlich auch geprägt. Mich würde jetzt zum Start noch mal einfach interessieren: Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit in Deutschland, auch an deine Kindheit und daraus resultierend: Welche Bedeutung hat für dich persönlich das Fußballspielen?

Tuğba: Ja, also wenn ich an meine Kindheit denke, du hast es gesagt, zehn Geschwister. Es war natürlich immer sehr viel, sehr laut.

Vicky: Ihr wart eigentlich eine Fußballmannschaft oder, zu elft?

Tuğba: Wir waren elf, das war mir in die Wiege gelegt worden, Fußballspielerin zu werden sozusagen. Und es war sehr schön auch, so groß zu werden. Aber auch. Also als Kind versteht man das ja nicht so richtig und mich hat es immer mehr genervt und ich habe mich immer und immer mehr zurückgezogen, war eher die Ruhige, introvertiert. Das mögen heute ganz viele nicht glauben, aber ich habe kaum gesprochen, hatte kaum Freunde und ja, habe mich auch nicht so wohlgefühlt, weil ich auch in meinem Jugendalter viel erlebt habe, was man als Kind irgendwie nicht erleben sollte. Wenn Lehrer doofe Sachen zu Einem sagen, wenn Mitschüler Einen mobben und und und. Und deswegen habe ich immer so das Gefühl gehabt, ich bin nicht Teil dieser Gesellschaft, obwohl ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin. Und das war für mich als Kind schwer zu begreifen. Und ich habe dann aber diese Rolle des Opferseins mehr oder weniger auch sehr gerne angenommen und habe dann gedacht, dann mache ich halt das, was man so von mir erwartet, nämlich gar nichts. Ich war auch keine gute Schülerin, muss ich zugeben. Und ja, und dann kam aber irgendwann der Fußball in mein Leben. Beziehungsweise der war eigentlich schon immer da. Ich hatte schon immer Lust Fußball zu spielen, aber ich durfte nicht. Und ja, der Fußball hat eigentlich mein komplettes Leben verändert, weil ich zum ersten Mal irgendwie, als ich dann auf dem Trainingsplatz stand und im Verein spielen durfte, festgestellt habe, dass es gar nicht so wichtig ist, wo ich herkomme, was für eine Religion ich habe oder oder oder. Sondern, dass es einfach nur darum ging, dass wir als Team am Wochenende Spiele gewinnen. Und das hat mir ein ganz, ganz tolles Gefühl gegeben, ein Gefühl von Freiheit. Und ich habe mich, wie gesagt, also dass ich Fußballspielerin geworden bin, war nicht selbstverständlich, weil sowohl gesamtgesellschaftlich das nicht gerne gesehen worden ist, dass ich als Mädchen Fußball spiele, aber eben auch innerfamiliär und ich glaube, das war so die größte Hürde. Und da habe ich die ersten Kämpfe angefangen zu kämpfen gegen das Elternhaus sozusagen, um meiner Leidenschaft, dem Fußballspielen, nachzugehen.

Vicky: Hmm, kann man sich vorstellen. Ich weiß das noch. Auch damals in meiner Kindheit gab es eben ganz klassische Hobbys für Mädchen und für Jungs und da wurde man irgendwie gar nicht gefragt, ob man vielleicht gerne was anderes war. Es gab Widerstände, die man überwinden musste. Und war es dann so, dass du also auf dem Fußballplatz einfach. Du hast es gesagt, da es keine Rolle gespielt woher man kommt, welchen Glauben man hat, aber es hat nur die Leistung gezählt. Oder? Du wurdest gesehen als Person, die Leistung abliefert und das war eigentlich das Momentum, wo du frei zeigen konntest, was eigentlich alles so in dir steckt. Oder? Habe ich das richtig verstanden?

Tuğba: Absolut genau so richtig beschrieben? Weil das war auch der erste Moment, wo ich auch über mich hinausgewachsen bin, wo ich etwas gefunden habe, wo ich auf einmal richtig gut drin bin. Und ich hatte ja, wie gesagt, immer den Eindruck, ich kann nichts, ich habe nichts, in dem ich gut bin, muss ich ehrlicherweise zugeben. Und der Fußball hat mir sozusagen das gegeben, wonach ich mich immer gesehnt habe, ohne zu wissen, dass ich mich danach gesehnt habe. Nämlich dieses Zugehörigkeitsgefühl und das Gefühl, etwas zu können, und zwar besser zu können als andere. Und das war schon sehr schön und das habe ich natürlich dann auch adaptiert. Im Zuge dessen habe ich meine Schulnoten auch verbessert, weil ich irgendwie ganz viel Selbstbewusstsein bekommen habe, über mich hinausgewachsen bin, weil ich auf einmal Leute um mich rumhatte, die an mich geglaubt haben, mir auch auf die Schulter geklopft haben, das ganz toll fanden, was ich da tue. Ich stand immer als einziges Mädchen, es gab sonntags immer so die Sonntagszeitung und dann gab es immer die „Elf der Woche“, ah ne montags war das genau, weil am Wochenende wurde gespielt. Dann gab es immer die elf der Woche und da waren immer nur Jungs und ich, und das hat mich schon sehr stolz gemacht und das hat meine Eltern auch insofern stolz gemacht, weil mein Vater dann angefangen hat, die Dinger auszuschneiden. Da habe ich gemerkt: Oh ja, okay, gefällt ihm doch. Und das ist natürlich ein ganz tolles Gefühl, was mir da entgegengekommen ist. Und das hat sehr viel mehr freigesetzt als einfach nur das Fußballspielen.

Vicky: Da kommen wir auch noch drauf. Vor allen Dingen auch auf dein Engagement als Menschenrechtsaktivistin, was ja bei euch in der Familie durchaus sich wie ein roter Faden durchzieht. Denn dein persönliches Herzensprojekt bei HÁWAR.help, was du gemeinsam mit Duzen ja auch gegründet hast, sind die Scoring Girls, das hast du eben gesagt und das zeigt auch, was du alles leisten kannst und welche Power Performance hinter dir steckt. Du bist vor kurzem dafür sogar für dieses Engagement in Nordrhein-Westfalen mit dem Landesverdienstorden ausgezeichnet worden. Also noch mal herzlichen Glückwunsch, das ist nun wirklich was ganz Besonderes. Aber erklär uns doch bitte noch mal und vor allen Dingen den Zuhörer:innen, die noch nicht so vertraut mit dem Thema sind: Was genau leistet die Initiative, was macht ihr? Du hast eben schon angedeutet, so eine Mischung zwischen Fußball und aber auch Bildungsangebot. Wie kann man sich das vorstellen?

Tuğba: Also wie kann man sich das vorstellen? Wir haben mittlerweile sieben Standorte, wir haben vier in Berlin, zwei in Köln und einen im Irak. Und ja, wir wachsen stetig. Dieses Projekt spricht tatsächlich Mädels an, die aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, aber eben auch aufgrund ihrer sozialen Herkunft nicht die Möglichkeiten haben, im Vereinssport teilzunehmen, beispielsweise, und da kommen wir dann ins Spiel, ich gemeinsam mit meinem Team gehen wir von Unterkunft zu Unterkunft oder sprechen soziale Einrichtungen an und sind auf der Suche nach Mädels, die nicht geglaubt hätten, dass sie die Möglichkeit hätten, Fußball zu spielen. Und dann kriegen sie eben einmal die Woche dieses Fußballtraining. Und davor und danach finden eben auch so Dinge wie Hausaufgabenhilfe statt. Und was aber auch ganz toll ist, wir helfen bei der Ausbildungssuche. Wir haben auch ganz starke Partner, wo wir versuchen die Mädels auch in Ausbildungsberufe zu integrieren und am Ende hören sich Geschichten ganz toll an, aber es ist natürlich auch nicht so einfach. Gerade Mädchen, die gerade ganz frisch beispielsweise in Deutschland sind, da auch in die Familien zu gehen und den Eltern jetzt zu erklären, es wäre irgendwie ganz toll, wenn die Mädels Fußball spielen. Und da muss ich erst mal auch viel Aufklärungsarbeit leisten, viel in Erklärungen gehen, warum das jetzt so gut sein soll für die Tochter. Und bei den Scoring Girls geht es um so viel mehr als nur um das Fußballspielen. Und das habe ich ja am eigenen Leib erlebt. Es ist wirklich so, dass die Mädels mehr Selbstbewusstsein bekommen. Es geht um Teamgeist, Disziplin. Es geht darum, Teil von etwas zu sein, Zugehörigkeitsgefühl, sich nicht ausgegrenzt zu fühlen. Und wie gesagt, dieses Projekt spricht wirklich alle Mädels im Alter von 8 bis 18 Jahren an und wir haben mittlerweile über 200 Mädchen, die wir erreichen. Wir haben aus über 15 Nationen, das sind ganz, ganz tolle Mädchen dabei, die beispielsweise auch über sich hinausgewachsen sind. Und da können wir auch gleich gerne noch mal drauf eingehen. Aber das sind ganz tolle Geschichten, die die Mädchen auch erzählen und erleben. Und wenn wir ein Stück weit dafür sorgen, und das mag jetzt pathetisch klingen, aber die Welt für diese Mädchen zu einem besseren Ort zu machen oder Orte zu schaffen, wo die Welt in Ordnung ist für die, dann mache ich das sehr gerne.

Vicky: Ja, wunderbares Engagement. Und du hast es gesagt: Ein Großteil dieser Mädchen haben Zuwanderungsgeschichte. Die haben natürlich auch was im Gepäck, wenn sie zum Fußballtraining kommen. Du hast eben gesagt, es gibt eine tolle Erfolgsgeschichte danach. Ich würde jetzt gerne starten bei der Geschichte davor. Mit was für Erfahrungen kommen sie auch zum Fußballtraining? Ich stelle mir das so vor, das muss man ja auch psychologisch ein Stück weit auffangen. Also da ist der Trainer oder die Trainerin ja durchaus auch ein Stück weit Familie und kümmert sich entsprechend. Was genau passiert da? Wie kann man sich vorstellen, mit wie viel Ballast diese Mädchen tatsächlich auch starten bei euch im Fußballtraining? Und welche konkrete Hilfe kann man anbieten, um den Ballast zu erleichtern?

Tuğba: Also tatsächlich eben durch dieses Spielen miteinander, gemeinsam. Aber die bringen natürlich ein ganz schönes Gepäck mit. Wir reden hier von 8-, 9-,10-,11-, 12-jährigen Mädchen, die, als sie sechs, sieben waren, zu Fuß aus, also dann mit, mit Booten und allem drum und dran, aber wirklich zu Fuß, wie sie das immer erzählen, mit blutigen Füßen sich auf den Weg gemacht haben Richtung Deutschland, aus dem Irak, aus Afrika, aus Afghanistan, aus dem Iran, aus Syrien. Wir haben ganz, ganz unterschiedliche Mädchen und das sind natürlich Geschichten, die sollten 10-jährige Mädchen nie erlebt haben. Das, was sie so teilweise erzählen, das ist so eine Kinderseele, sollte das alles nicht erlebt haben, nicht gesehen haben und nicht gespürt oder gefühlt haben. Diese Angst, diese Sorge. Also Angst, auch zu sterben. Und wir haben Mädchen, die sind der Wahnsinn. Also, ich muss ehrlicherweise sagen, Vicky, als ich damit angefangen habe vor sechs Jahren, ging es mir nur darum, ein paar Mädchen aus den Unterkünften so mit dem bisschen auf der Wiese Fußball zu spielen. Ich meine, das war.

Vicky: Ja klar, das war der Startpunkt.

Tuğba: Was heutzutage daraus entstanden ist und was für eine Wucht und was für eine Energie, aber auch was für eine Lebensfreude mir kam und das fand ich sehr faszinierend, nämlich, dass sie wollten. Sie wollten am Leben teilnehmen, sie wollten kein Opfer sein, sie wollen mehr vom Leben. Und ich finde, dass es auch in unser aller Aufgabe oder unsere aller Aufgabe, dann diesen Mädchen auch eine Perspektive zu bieten und eine Chance zu geben, wenn sie so sehr wollen. Und deswegen ist es, musste dieses Projekt auch größer werden und deswegen musste ich dann am Ende, weil ich das selbst nicht mehr gewährleisten konnte, eben diese Sozialpädagogen, Trainerinnen und und und einstellen bzw. heranholen, weil es anders gar nicht zu bewerkstelligen wäre. Und diese Mädchen sind natürlich auf der einen Seite haben die ein Riesenpäckchen und sind auch traumatisiert, definitv. Die sind sehr traumatisiert. Aber bei uns auf dem Fußballplatz vergessen sie ihre Traumata und das ist eben etwas ganz, ganz Besonderes. Und wie gesagt, wir spielen ja nicht nur Fußball, wir gehen auch in Workshops. Wir stellen ganz intensive Fragen: Wie geht es euch heute? Was habt ihr erlebt? Was wünscht ihr euch? Was fehlt euch vielleicht noch? Und wir gehen aber auch in diese Vorbilddialoge, das heißt wir bringen sie auch mit weiblichen Vorbildern zusammen, damit sie eben auch erkennen und sehen, dass sie hierzulande auch alles werden können. Und ich glaube, dass es so auch der richtige Schritt in die richtige Richtung und was wir versuchen, ist, sie an die Hand zu nehmen, ihnen Flügel zu geben und ihnen immer wieder zu sagen, dass sie, dass sie alles schaffen können, wenn sie nur ganz fest dran glauben und ihre Träume bloß nicht vor den Augen verlieren sollten.

Vicky: Was wahrscheinlich eine Herausforderung ist, kann ich mir vorstellen auch immer noch interfamiliär Familien, die als gesamtes Familie vor kurzem gekommen sind, aus einem anderen Glauben, aus einer anderen Tradition heraus, hier auf unser demokratisches Leben, unseren Freiheitsgedanken stoßen. Ich kann mir vorstellen, dass Mädchen, denen ihr Flügel gebt, immer wieder Probleme haben, diese auszubreiten. Auch zu Hause.

Tuğba: Absolut. Also die gibt es auch. Und meine Eltern sind seit über 40 Jahren in Deutschland. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und hatte trotzdem diese, diese Probleme, diese kulturellen Probleme, weil sie eben an Traditionen festgehalten haben, die sie nie anders kannten. Und da ist es wirklich wichtig, da in die Aufklärung zu gehen. Und natürlich sind viele Eltern dieser Mädels, die verstehen es nicht, weil sie aus Ländern kommen, wo Frauen gar kein Fußball spielen dürfen oder Mädchen. Ja, das heißt, sie verstehen gar nicht, was, was ich denn will oder was wir wollen. Die verstehen den Mehrwert nicht. Und wenn ich da hingegangen bin, mit ihnen gesprochen habe, haben sie zu mir gesagt: „Ist ja schön und gut, was du mit meiner Tochter vorhast. Aber ich habe hier noch zwei Söhne“

Vicky: Ja genau, nimm die doch.

Tuğba: „Es wäre total cool, wenn du die zu Fußballern machen könntest.“ Und dann hab ich gesagt: „Nee, darum geht es halt nicht.“ Und da spielt natürlich auch Angst eine ganz große Rolle. Angst vor Entwurzelung, Angst davor, dass sie ihre Sprache verlernen, dass sie irgendwie dann vielleicht zu frei werden und dann irgendwie der Familie den Rücken kehren könnten. Und wenn ich dann da stehe und mit ihnen auf ihrer Muttersprache spreche und ihnen sage: Ich weiß, wo meine Eltern herkommen, ich spreche noch die kurdische Sprache und alles ist gut und trotzdem. Und dann habe ich so meine Autogrammkarten immer dabei. Und trotzdem „Hier bin ich Spielerin hier beim 1. FC Köln und bin zur Bundesligaspielerin geworden. Und das eine schließt das andere nicht aus, sondern das ist ein Mehrwert und man redet sehr, sehr viel. Man muss viel reden. Das ist ganz wichtig, gerade bei dieser Arbeit auch Eltern mitzunehmen. Sie wollen mitgenommen werden, sie wollen verstehen, was da passiert. Und klar gibt es auch die Eltern, die dann irgendwann, wenn die Mädchen älter werden, sagen „Okay, sie darf nicht mehr kommen.“ Die gibt es auch. Aber es gibt auch die Eltern, die dann sagen: „Wow, was ist hier eigentlich alles passiert? Meine Tochter will nicht mehr Arzthelferin werden, sondern Ärztin.“ Dann unterstütze ich das natürlich. Das ist natürlich etwas ganz, ganz Tolles, was da auch passiert. Und trotzdem ist unsere Arbeit sehr, sehr wertvoll, weil viele Mädchen bei uns sind, die woanders nicht hingehen dürften. Das ist Fakt.

Vicky: Ja, und weil wir eben aus der Kenntnis der Herausforderung heraus eben die Familien auch mitnehmt, was natürlich sonst nicht passiert. Da gibt es einen harten Cut und entweder sie können sich so freimachen von all dem, was sie mitbringen oder eben nicht. Das kann man sich gut, das kann man sich wirklich gut vorstellen. Und ich glaube das auch jede einzelne Erfolgsgeschichte, du hast es gesagt, ihr habt aktuell 200 Mädchen und es werden immer mehr, jede einzelne Erfolgsgeschichte euch wieder stärker macht, euch noch mehr Reichweite gibt, noch mehr Sichtbarkeit für euer Engagement. Und das ist natürlich ein viraler Effekt, der nur Gutes bringt. Also großartig. Und du hast es an der einen oder anderen Stelle angedeutet: Aber vor welchen Herausforderungen, so ganz konkret, stehen die Mädchen, wenn sie nach Deutschland kommen? Manche kommen mit Familie, manche kommen alleine. Was sind die Hauptpunkte? Weil natürlich in Deutschland wir viel Diskussionen über Integration führen, viel Diskussion über Zuwanderung. Aber wie sieht die Situation deiner persönlichen Einschätzung nach aus? Und hat sich da in den letzten Jahren was Positives getan?

Tuğba: In erster Linie ist es immer erstmal diese sprachliche Barriere, die da vorherrscht und da dann Angebote entsprechend zu schaffen, das ist, so glaube ich das das Wichtigste. Aber auch grundsätzlich Angebote zu schaffen, wo die Leute, die neu zu uns kommen, eben auch die Möglichkeiten haben, mit ganz vielen Eltern natürlich dieser Mädchen gesprochen habe, die wollten, die wollten, die wollten und konnten und durften nicht. Die wollten keine Sozialhilfe beziehen, sie wollten arbeiten gehen und und und und. Das war natürlich so Probleme und Herausforderungen, vor denen sie standen, wo die Kinder dann auch oder die Mädels selbst dann auch nicht verstehen. Aber warum denn nicht? Also warum darf denn meine Mama jetzt nicht arbeiten gehen? Also wir haben teilweise viele Mädels wo die, wo die Kinder nur mit ihren Müttern hier sind und die Mütter, die haben auch im Heimatland schon viel gearbeitet und wollten hier auch weiterarbeiten. Und das sind glaube ich so die Herausforderungen, die hier vorherrschen, nämlich die Möglichkeit, denen auch zu bieten, Teil dieser Gesellschaft zu sein, ja, und sie auch zu integrieren und eben auch durch sowas, nämlich sie teilhaben zu lassen. Und das sind so die Herausforderungen, die die Mädchen dann mitbringen, weil sie dann automatisch denken, dass sie sich auch automatisch also sie können sich noch so sehr anstrengen, sie dürfen wahrscheinlich auch nicht das, was Lisa darf, sie dürfen auch nicht das, was Lena darf oder sie dürfen auch nicht das was, ne. Also, da herrscht dann schon auch so was vor. Und da gehen wir natürlich dann auch an die konkrete Arbeit, was wir jetzt zum Beispiel auch machen oder was wir schon von Anfang an gemacht haben, also unabhängig, nicht jedes Mädchen, das da zu uns kommt, kann ja ich will mal sagen, sehr gut Fußballspielen, also gut, aber nicht sehr gut. Und was wir aber machen, ist, wenn wir Talent sehen, auch bei den Mädels, wir sie dann entsprechend auch vermitteln an richtige Sportvereine. Das heißt, sie sind heute, wir haben viele Mädels, die heute aktiv Vereinsspielerinnen sind mit ihrem eigenen Spieler-Pass, die so natürlich auch das Gefühl bekommen, dass sie ja doch Teil von etwas sind, also unabhängig von den Scoring Girls, dass sie ja Teil dieser Gesellschaft ganz besonders sind, weil sie eben auch an Vereinssport teilnehmen dürfen. Wir haben ein Mädchen, die hat sogar jetzt den DFB Junior Coach Lehrgang erfolgreich abgeschlossen und möchte irgendwann Trainerin werden. Also das sind natürlich auch Dinge, die sind auch zukünftige Leistungsträgerinnen dieses Landes sozusagen, die auch ganz klar sagen, ich möchte irgendwann den Adler auf der Brust tragen, wenn ich mal für die Nationalmannschaft spiele. Also für die ist ganz klar, dass die auch hierbleiben. Und dann sollte man natürlich auch gucken, dass man diesen Mädels auch die Möglichkeit gibt, das zu tun. Und wir haben aber auch Mädchen, wo es dann darum geht, Aufenthaltsrecht, die müssen vielleicht wieder zurück, sind ihr halbes Leben in Deutschland. Und da müssen wir natürlich auch gucken, wie machen wir das am besten und wie schaffen wir es, dass für die Mädels auch und für die Familien als solches so einfach wie möglich zu machen, so niedrigschwellig wie möglich. Und ich glaube, da hapert's leider noch ein bisschen. Was wir machen können, ist natürlich, es kommt dann oft aus der Zivilgesellschaft, aber es ist wie es ist, aber auch ich und meine Schwestern, ob jetzt HÁWAR.help, ob German Dream, wir versuchen ja, diese Angebote zu schaffen. Wir versuchen die Leute niedrigschwellig auch anzusprechen, auch beim Thema Impfen und, und und. Das sind alles Dinge, die tun wir und ich bin an der Basis. Ich mach nicht blabla. Ich mach auch keine Politik. Was ich machen kann ist im Rahmen meiner Möglichkeiten und das mache ich dann an Ort und Stelle. Und das versuche ich halt an diesem Punkt zu machen. Und ich glaube das ganz konkret auch in so Initiativen zu gehen, in Projektarbeit, dann aber auch die Sichtbarkeit, du sagst es gerade dieser Projekte auch hervorzuheben. Ich meine, ich habe den German Diversity Award von euch bekommen. Das ist natürlich auch etwas ganz Besonderes, weil es auch die Sichtbarkeit schafft. Für uns, für unsere Projekte.

Vicky: Ja, das ist auch ein Punkt. Genau den wollte ich auch gerne mit dir noch besprechen. Weil du sagst es gerade schon ist es wichtig, Sichtbarkeit auf das Engagement zu lenken und auch auf den Bedarf, der die Basis ist, warum es euer Engagement überhaupt gibt, zu lenken. Ihr seid Menschenrechtsaktivistinnen, jede von euch hat einen anderen Schwerpunkt. Dann haben wir gerade eben thematisiert, Sichtbarkeit ist da durchaus auch wesentlich, oder? Damit ihr auch entsprechend so eine Verknüpfung auch schaffen könnt Ich brauche, ich brauch Beziehungen zur Politik, damit ihr eben auch helfen könnt. Ihr braucht Beziehungen in die Gesellschaft, ihr müsst niedrigschwellig bleiben. Ihr habt auch furchtbar viel, ja, Themen, die ihr einfach angehen müsst, die ihr bedienen müsst. Da hast du dich damit immer wohlgefühlt mit der Sichtbarkeit? Oder musstest du dich da so ranrobben? Und wie empfindest du das ganz persönlich, abgesehen davon, dass es notwendig ist für deine Arbeit?

Tuğba: Na ja, genau. Abgesehen davon, dass es sehr notwendig ist, haben wir auch als Schwestern irgendwie sehr lange, also wir sind von Anfang an immer rausgelaufen, waren laut. Wir haben versucht laut zu sein, weil es irgendwie niemanden interessiert hat, was da irgendwie passiert auch. Ich meine, der Grund, warum wir HÁWAR.help gegründet haben war der Völkermord an den Jesiden und das war ja sozusagen der Anfang von allem. Und es hat aber niemanden interessiert, was 3000 Kilometer weit entfernt passiert und deswegen mussten wir laut sein. Also auch wenn wir unangenehm waren, auch wenn es uns unangenehm war, war es der einzige Weg, den wir hatten, damit eben wir uns Gehör verschaffen, sozusagen. Und natürlich waren wir nicht immer, es ist auch sehr anstrengend gewesen, immer so nach dieser Aufmerksamkeit zu buhlen oder auch so Runden zu sprengen, in dem wir dann wieder diese harten, schweren Themen ansprechen. Aber wir sind intrinsisch getrieben und das war unsere einzige Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen. Und deswegen ist es eben wichtig gewesen, dass wir sehr, sehr laut waren, weil wir eben auch alleine waren. Wir waren alleine und es hat wirklich Wenige interessiert. Und heute ist es natürlich so, wenn wir davon reden, von Sichtbarkeit, dann helfen wir natürlich durch Preise wie der German Diversity Award oder der Landes Verdienstorden des Landes NRW. Meine Schwester hat letztes Jahr das Bundesverdienstkreuz bekommen. Das sind natürlich dann auch Anerkennung und Wertschätzung unserer Arbeit, die natürlich auch die Sichtbarkeit schaffen und wir dann auch. Also nicht, dass wir dachten: Was machen wir hier eigentlich? Aber zwischendurch ist man ja schon sehr müde und ermüdend von all dem Hinterherlaufen und Kämpfen. Und deswegen sind solche solche Auszeichnungen natürlich etwas ganz Besonderes, weil sie zum einen uns auch eine ganz besondere Wertschätzung geben, aber auch den Projekten als solches. Und wir arbeiten dann damit. Also das, was dann passiert ist, dass wir damit arbeiten und dass noch mehr Leute auf uns aufmerksam werden und dass wir mittlerweile auch getragen sind. Wir sind eben nicht mehr alleine. Wir haben ganz viele Leute um uns herum, ganz viele Menschen aus allen Bereichen, die uns wirklich auch tragen und mit uns gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen möchten. Und das finden wir natürlich sehr, sehr schön, das trägt uns auch.

Vicky: Ja, vielen, vielen Dank für deine persönlichen Einsichten und auch die Inspiration, die du, glaube ich, jeder Hörerin und jedem Hörer mitgibst, mal einen anderen Blickwinkel auch einzunehmen und Themen doch zu hinterfragen und vielleicht auch die erste Berührungsangst abzulegen vor Themen, die einem völlig fremd und neu sind, damit diejenigen, die sie aufbringen nicht so lange allein sind und nicht so laut sein müssen. Dazu möchte ich hiermit aufrufen und auch dazu aufrufen, sich HÁWAR.help mal genauer anzuschauen. Da kann man auch unterstützen. Ich denke, das ist immer gerne willkommen. Findet man überall. Muss man nur googeln. Ist ganz einfach. Ansonsten findet ihr auch Tuğba und ihre Schwestern und auch Duzen auf den Social Media Kanälen. Verlinkt euch da gerne. Ihr seid ganz offene Frauen und seid einfach auch auf Augenhöhe unterwegs. Und ich freue mich sehr, wenn eure Themen weiter unterstützt werden. Ich danke Dir herzlich, Tuğba, für dein Engagement und für das nette Gespräch.

Tuğba: Ich danke dir auch, liebe Vicky auch. Vor allem auch, das will ich nicht unerwähnt lassen für Deine persönliche Unterstützung an ganz vielen Stellen. Danke dafür.

Vicky: Sehr, sehr gerne! Ich hoffe, euch hat diese Folge von Driving Change, dem Diversity Podcast gefallen. Neue Folgen gibt es immer donnerstags und damit ihr keine Folge verpasst, abonniert uns gerne auf allen gängigen Podcast Plattform und folgt uns auf LinkedIn, Instagram und Twitter. Falls ihr Ideen habt, welche Gäst:innen ich einmal in unserem Podcast einladen soll, macht doch gerne einen Vorschlag. Ich freue mich darauf und immer über euer Feedback. Bis zum nächsten Mal, eure Vicky.

Über diesen Podcast

"Driving Change" ist der Diversity-Podcast von BeyondGenderAgenda, dem bedeutendsten Netzwerk für DE&I in der deutschen Wirtschaft.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Diversität unser Leben, die Wirtschaft und unsere Zukunft beeinflusst. Welche Rolle spielen dabei Chancengerechtigkeit und Inklusion und welche aktuellen Ereignisse verändern unsere Welt.
Besucht auch unsere Social-Media-Kanäle, um auf dem Laufenden zu bleiben oder unsere Homepage www.beyondgenderagenda.com für alle Informationen rund um BeyondGenderAgenda.

von und mit BeyondGenderAgenda

Abonnieren

Follow us