Driving Change - Der Diversity Podcast

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Der Diversity, Equity & Inclusion Podcast von BeyondGenderAgenda

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DRIVING CHANGE

Der Diversity Podcast von BeyondGenderAgenda

Gemeinsam mit ihren Gäst: innen setzt CEO und Gründerin Victoria Wagner die Themen Diversity, Equity und Inclusion (DE&I) auf die Agenda der deutschen Wirtschaft. DE&I bezogene Fragen und aktuelle Ereignisse werden erörtert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Durch das Teilen persönlicher Erfahrungen und konkreter Lösungsansätze wird ein Beitrag zu einer diverseren und inklusiveren Wirtschaft geleistet.

Gemeinsam mit ihren Gäst: 11.08.2022 EPISODE MIT HAKAN DEMIR - Bundestagsabgeordneter der SPD und Arbeiterkind mit Migrationsgeschichte

Hakan: Das Parlament sollte grundsätzlich die gesellschaftlichen Realitäten widerspiegeln. Die Demokratie kann nur funktionieren, wenn verschiedene Perspektiven da drin sind und die miteinander verhandelt werden. Und dazu gehört es auch, dass unser Bundestag beispielsweise mindestens 50 % Frauen haben sollte.

Vicky: Hallo und herzlich willkommen zu Driving Change, dem Diversity Podcast. Ich bin Vicky Wagner, Gründerin und CEO von Beyond Gender Agenda und spreche mit meinen Gäst:innen darüber, was wir gemeinsam tun können, um die Themen Diversität, Chancengerechtigkeit und Inklusion auf die Agenda der deutschen Wirtschaft zu setzen. Mein heutiger Gast ist Hakan Demir. Hakan ist Bundestagsabgeordneter der SPD und verantwortlich für die Themen Arbeit, Soziales, Migration und Integration. Als Arbeiterkind mit Migrationsgeschichte setzt er sich gezielt dafür ein, dass die soziale Herkunft nicht mehr über Karrierechancen entscheidet. Schön, dass du da bist, lieber Hakan

Hakan: Danke für die Einladung.

Vicky: Ja, herzlich willkommen. Und starten wir damit, dass du dich persönlich noch einmal vorstellst und den Fokus auf die Themen legst, die dir besonders wichtig.

Hakan: Kann ich gerne machen. Genau. Ich bin ja der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete von Berlin Neukölln. Neukölln ist ja glaube ich mindestens deutschlandweit bekannt. Und genau am 26. September hat mich die Mehrheit in Neukölln gewählt und bin auch sehr dankbar dafür. Und jetzt bin ich im Bundestag unter anderem ordentliches Mitglied im Innenausschuss und stellvertretendes Mitglied im Familienausschuss. Und im Innenausschuss sind die Themen ja vorwiegend Migration, Integration, Flüchtlingsrecht, aber auch der Kampf gegen Rechtsextremismus, der Kampf für eine offene und solidarische Gesellschaft. Das sind so die Themen, an denen ich weiterwirken darf.

Vicky: Ja, sehr, sehr spannend und extrem wichtig. Und wir haben an anderer Stelle mal über dein Aufwachsen in Deutschland gesprochen, deine kulturelle Herkunft. Wie hat denn dein Migrationshintergrund oder der deiner Familie dich geprägt, so im Laufe der Zeit bis zum Einstieg in die Politik?

Hakan: Ja, große Frage. Also dadurch, dass meine Eltern beide aus der Türkei kommen, meine Großeltern aus der Türkei kommen, bin ich ja vor diesem Hintergrund aufgewachsen, bin mit dieser Kultur aufgewachsen, bin aber auch natürlich mit dieser sozialen Kultur aufgewachsen. Also es war eine Gastarbeiterfamilie, es war keine Familie bestehend aus Akademiker:innen, so dass es zum Beispiel bei uns so um die fünf Bücher gab. Aber trotzdem wusste meine Familie, dass Bildung sehr wichtig ist und die standen auch immer hinter mir. Aber die räumlichen Begrenzungen gab es. Also wir haben in einer Dreizimmerwohnung mit sieben Menschen gewohnt. Meine Großeltern, Eltern, Tante, Onkel und ich. Und es war natürlich ein bisschen klein für so viele Menschen. Und es gab natürlich auch keinen Raum, wo man jetzt mal sich zurückziehen konnte. Auf der anderen Seite für so ein Kind für mich war das natürlich schön, weil ich immer Personen hatte, die mit mir was machen konnten und ich konnte immer meine Tante oder meinen Onkel fragen. Und später ist mir natürlich bewusst geworden: Okay, ich bin irgendwie anders, in Anführungsstrichen. Also ich bin offenbar nicht deutsch, in Anführungsstrichen als Kind. Das denke ich heute natürlich nicht. Ich bin Deutscher mit diesen türkischen Wurzeln. So sehe ich mich heute. Aber als Kind wird man natürlich erst mal mit der Frage konfrontiert: Was ist man eigentlich? Und ja, und dann kommt man schnell eigentlich zu der Idee zu sagen: Okay, ich bin irgendwie anders als jetzt der Nils. So, ich wohne auch anders als der Nils. Und bei uns gibt es halt noch eine Sprache, die wir sprechen. Also man merkt schnell, okay, man ist irgendwie was anderes und die anderen Kinder oder in der Schule merkt man es dann halt auch. Ich hatte ja auch mal berichtet, dass nach der vierten Klasse es so war, dass meine Lehrerin gesagt hat okay, der Hakan kann auf die Realschule, obwohl ich dann halt eigentlich gute Noten hatte für die für das Gymnasium, so dass mein Papa noch mal interveniert hat glücklicherweise und ich dann auf dem Gymnasium gelandet bin. Und das Problem haben ja viele tatsächlich und viele hatten dann halt in dem Moment nicht das Glück, dass da ein Vater oder eine Mutter gesagt hat: Nee, wir wollen das gar nicht so! Und eigentlich müsste das systematisch so laufen, dass jemand, wenn er geeignet ist fürs Gymnasium, dann halt aufs Gymnasium kommt.

Vicky: Ja, völlig unabhängig von der Herkunft und Prägung, wie ich finde. Es ist schon mal so ein spannender Beginn. Du sagst letztendlich, die Basis waren fünf Bücher, aber doch ein Elternhaus, was sich eben stark dafür eingesetzt hat, dass Bildung deinen Alltag geprägt hat. Und irgendwann kam dann der Punkt, dass du gesagt hast, die Politik ist deins. Und das muss ich natürlich hier in diesem Rahmen fragen. Warum bist du Politiker geworden?

Hakan: Ja, ich habe diese Unterschiede als Kind schnell bemerkt. Also finanzielle Unterschiede, räumliche Unterschiede und natürlich den Unterschied, dass man anders mit Menschen vielleicht auch umgeht, die einen anderen Hintergrund haben, einen anderen ethnischen Hintergrund haben. Das habe ich schnell gemerkt, aber das hat noch nicht dazu geführt, dass ich jetzt politisch wurde. Aber ich habe schon immer so das Gefühl gehabt, diese Unterschiede soll es nicht geben oder sollte es nicht geben, so dass ich dann doch schon in der Schule, zumindest später es spannend fand, jetzt mal die politischen Theoretiker zu lesen, beispielsweise Karl Marx ist so ein Punkt, habe ich gelesen und auch die anderen älteren Philosophen und habe immer schon so ein Gespür dafür gehabt, dass wenn man die Gesellschaft ändern will und sie ist änderbar, dann macht es schon auch Sinn, in die Politik zu gehen. Das hatte ich immer schon so im Hinterkopf, um diese Unterschiede zu ändern oder diese Ungleichgewichte zu ändern. Und das hat dann nach Jahren eigentlich dazu geführt, also es ist gewachsen. Ich habe jetzt nicht die eine Anekdote, wo ich sage, okay, dass es passiert und am nächsten Tag war ich politisch und aktiv, sondern es ist so ein Wachstum, schleichend über die letzten 10, 20 Jahre, wenn man so will. Und ja, das hat dann letztendlich dazu geführt, dass ich jetzt im Bundestag sitze, ohne wie gesagt, diese eine Anekdote zu haben, aber mit dem ganz klaren Ziel, in den nächsten drei, vier Jahren oder vielleicht auch länger diese Unterschiede zu minimieren, die es gibt, diese Ungleichbehandlung zu minimieren, die es gibt und auch viele soziale Maßnahmen voranzubringen.

Vicky: Und wir haben ja auch schon mal generell über Diversität und dein Engagement, weil ja, du betonst natürlich in deinem Rahmen auch immer Migration, Integration und es gehört aber ja noch mehr dazu und du siehst durchaus das gesamte Themenfeld. Und ich habe in einer der vorangegangenen Podcastfolgen mit Dr. Maximilian Oehl gesprochen, dem Initiator von Brand New Bundestag. Und diese Initiative hat, wenn ich das richtig verstanden habe, auch dich gefördert in 2021. Wie hast du das damals wahrgenommen? War das hilfreich für dich und wie schätzt du persönlich die Diversität der Politik ein, es Deutschen Bundestags?

Hakan: Also Brand New Bundestag hat mich unterstützt und viele andere auch. Also allein die Unterstützung zu sagen, hier der Hakan ist jetzt einer von 50, das bringt natürlich viel. Vor allem, wenn dann die anderen Kandidat:innen aus demselben Wahlkreis nicht zu den Top 50 gehören. Muss man ja auch sagen. Es ist ja klar, es ist ein Wettbewerb

Vicky: Ja klar, gibt ja auch mehr Sichtbarkeit

Hakan: Genau. Und ich hatte das Glück, dass der Bundestag mich rausgesucht hat und mich auch verfügbar gemacht hat in den sozialen Medien. Das ist eine große Unterstützung gewesen und bin auch dankbar dafür. Und das Ziel, Personen in den Bundestag zu bringen, die diverser sind, ist natürlich demokratietheoretisch auch sehr nachvollziehbar und wichtig und gut, dass es diese Organisation gibt. Und klar, hätte man wahrscheinlich noch mehr Personen fördern können. Aber klar muss man auch sagen Gut, das sind jetzt die 50 Personen, weil es tatsächlich auch mehr Menschen gerade im Bundestag gibt, die vielleicht jetzt nicht gezielt jetzt durch Brand New Bundestag unterstützt wurden, aber die gibt es und die haben es auch geschafft. Aber es haben auch einige geschafft, weil sie halt auch unter anderem die Unterstützung von Brand New Bundestag hatten.

Vicky: Ja, und es ist natürlich letztendlich der diverseste Bundestag aller Zeiten und das ist ja auch gut und richtig so, weil es ja auch um Repräsentanz geht, Repräsentanz der Bevölkerung. Und ist denn Diversität ein Thema, wir haben gesagt, es ist gut, dass es sich in der Politik widerspiegelt, aber ist es ein Thema, was dir persönlich besonders wichtig ist und wenn ja, warum?

Hakan: Genau da geht es mir jetzt nicht nur um Menschen mit Migrationsgeschichte oder People of Colour, sondern das Parlament sollte grundsätzlich die gesellschaftlichen Realitäten widerspiegeln, weil es auch also Die Demokratie kann nur funktionieren, wenn verschiedene Perspektiven da drin sind und die miteinander verhandelt werden. Und dazu gehört es auch, dass unser Bundestag beispielsweise mindestens 50 % Frauen haben sollte. Also wir bräuchten da ein Paritätsgesetz, was wir ja in einigen Bundesländern auch fordern, weil in manchen Parteien kriegen die Parteien es nicht hin Frauen aufzustellen bzw. da ist die Machtstruktur, einfach so, dass es Frauen nicht schaffen und wir auch die Grünen, ich weiß jetzt gar nicht, wie es bei der FDP ist, aber wahrscheinlich genauso, wir haben ja tatsächlich Quoten. Bei uns ist es klar, dass auf unseren Bundestags Listen oder generell bei Listen es so ist, dass wir, wenn wir auf Platz eins eine Frau haben, das dann auf Platz zwei ein Mann kommt und umgekehrt. So schaffen wir es, dass mindestens 40 % unserer Abgeordneten, mindestens, dann tatsächlich, dass das dann paritätisch ist oder in die Richtung Parität geht, während andere Parteien das halt nicht schaffen. Die haben dann also zum Beispiel jetzt in der im Bundestag sind wir nicht bei 50 % und das liegt teilweise nicht teilweise. Das liegt an der CDU, CSU und an der AfD, weil sie es nicht schaffen genug Frauen zu motivieren bzw. die Machtstrukturen innerhalb dieser Parteien so ist, dass das nicht genug Frauen schaffen. Und das ist dann nicht so toll für das Parlament. Und wir können ja jetzt nicht der CDU sagen: „Macht mal!“, sondern wir brauchen Gesetze, die dann dazu führen, so wie wir uns selber verpflichtet haben, als Partei schon vor Jahrzehnten zu sagen okay, welche Probleme gibt es und wie können wir sie lösen und wie schaffen wir es, dass mehr Frauen dann in den Parlamenten sind? Und das haben wir dann über eine Quote geschafft und wollen jetzt aber auch, dass andere Parteien das genauso machen.

Vicky: Das finde ich ein gutes Anliegen. Und du hast einmal im Monat eine Sprechstunde, in der Menschen aus Neukölln, dir ihre ganz persönlichen Geschichten und Probleme erzählen. Und was nimmst du daraus mit? Also du hast eben gesagt, Neukölln dürfte bundesweit bekannt sein. Das denke ich auch. Was sind aber die Themen, wo du wirklich sagst: Mensch das ist auch ein politischer Auftrag? Da müssen wir dringend ran.

Hakan: Also zunächst einmal Ich habe verschiedene Formate, wo man mich treffen kann und die Sprechstunde ist tatsächlich einmal pro Monat. Und dann habe ich mehrere Stunden, wo man quasi einfach hinkommen kann und dann mit mir sprechen kann. Aber man kann mich auch jederzeit anschreiben und sagen, ich möchte ein Termin, was auch genutzt wird. Also ich bin eigentlich jeden Tag in Sprechstunden, nur das ist halt einmal gefixt, einmal pro Monat, damit sich weiterträgt. Aber ich habe jeden Tag Sprechstunden oder telefoniere auch jeden Tag mit Menschen, die mit Problemen auf mich zukommen. Bzw. ich bin ja auch draußen, bin ja teilweise ja Sonntage auch draußen und bei einigen Nachbarschaftstreffen dabei und da nehme ich natürlich auch vieles mit und habe meine vielen Gespräche. Was ich da mitnehme ist teilweise sehr traurige Geschichten, auch traurige Schicksale, aber auch Menschen, die einfach zu mir kommen und einfach reden wollen, noch keine Lösung wollen, sondern die wollen einfach mit mir ihre Sorgen teilen. Beispielsweise was den Krieg, den Angriffskrieg Russlands gegen Ukraine anbelangt. Dann kommen sie auf mich zu und sagen: Wir haben Angst. Wenn da jetzt eine Person auf mich zukommt und sagt sie ist 77 und hat noch nie Krieg erlebt in Deutschland, aber jetzt Angst hat, dass es zu einem Krieg kommen könnte, dann bin ich ja auf jeden Fall ansprechbar und höre mir das an und habe dann auch in dieser halben Stunde tatsächlich auch nicht so viel. Mein Redeanteil ist dann geringer. Ich bin dann der aktive Zuhörer und das ist auch gut. Und ich versuche dann hier und da auch die Ängste zu nehmen. Und bislang hat es glaube ich geklappt. Also ich bin eine Person, ja, die, die ansprechbar ist, aber auch löst, also auch Probleme lösen kann. Beispielsweise wenn ein älterer Rentner auf mich zukommt und sagt, er kommt mit dem Wohngeldantrag nicht klar und wir es dann schaffen, dass er dann pro Monat 100 / 200 € mehr hat und das ist schon viel und diese Person sich dann sehr freut. Oder in dem anderen Fall haben wir es geschafft, dass eine afghanische Familie, wo die Kinder keine andere Sprache sprechen, außer Deutsch, nicht abgeschoben wurden. Also auch darum kümmere ich mich, wo ich sage, alle Menschen, die hier ein Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollten auch hier bleiben. Und das ist ein Privileg, das ich habe. Und es macht mich auch am Ende des Tages glücklich, wenn ich merke, dass mein Tun auch eine Wirkung hat. Und ich sage auch immer meinem Team, wenn wir die Möglichkeit haben, das Leben von Menschen um 180 Grad zu drehen, dann versucht bitte alles dafür, dass es auch klappt. Und ich bin froh, dass wir das schon mehrmals geschafft haben.

Vicky: Und das ist schön, dass du das hier so mit uns teilst, weil viele Menschen ja doch immer noch Distanz zu Politiker:innen empfinden und denken, da kann es keinen persönlichen Kontakt oder Austausch geben. Und ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in Zeiten des Kriegs in Europa ist es unfassbar wichtig, dass man in den persönlichen Austausch geht. Danke dafür. Bleiben wir noch kurz bei dem Krieg und bei dem Effekt, den leider so ein Krieg hat, nämlich dass viele Menschen ihr Leben, ihren Wohnort, ihr Land, ihre Familie verlassen müssen und flüchten müssen. Inzwischen sind circa 700.000 Menschen auch in Deutschland angekommen. Wir selber haben uns mal in Berlin getroffen. Da warst du gerade auf dem Weg zum Hauptbahnhof, um dich vor Ort kundig zu machen und zu sehen, wie die Lage ist. Selbstverständlich gibt es auch immer mal wieder Kritik, Kritik am Bund, an den staatlichen Strukturen, an der Vorgehensweise. Es geht nicht schnell genug, es wird nicht sensibel genug verteilt, es gibt nicht genug Unterstützung für die Kommunen. All das ist bekannt. Aber wie blickst du drauf? Wie gut schlagen wir uns als Deutschland gerade bei der Unterstützung von ukrainischen Flüchtlingen?

Hakan: Ich glaube, man muss ganz offen sagen, dass wir in der ersten Woche oder vielleicht die ersten zehn Tage unsere Probleme hatten, weil wir tatsächlich auch damit so nicht gerechnet hatten. Und vor allem das Land Berlin war ja tatsächlich teilweise alleine, weil viele Menschen kamen nach Berlin, die Sonderzüge hielten hier an und die Menschen blieben, obwohl sie vielleicht auch, weiß ich nicht, vielleicht auch nach Frankreich weiterfahren wollten oder vielleicht nach Nordrhein-Westfalen. Aber die Sonderzüge waren erst mal hier und wir mussten uns um die Menschen kümmern. Und dann hatten wir schon dann schnell eine Lernkurve, die auch wichtig war und wir dann schnell klären konnten, dass die Menschen nicht nur in Berlin sofort sind, sondern dass wir eine deutschlandweite Verteilung haben und dass es auch eine Solidarität zwischen den Bundesländern gibt. Das haben wir schnell hinbekommen und ich habe das Gefühl, dass wir jetzt zumindest, ja, dass das gut läuft. Anderes höre ich jetzt gerade nicht. Dass die Menschen verteilt worden sind und dass jetzt auch im Juni, das hatten wir auch noch nie, Vicky, dass plötzlich Geflüchtete SGB zwei Leistungen bekommen könnten. Und wir haben es ja auch hinbekommen, dass die ukrainischen Geflüchteten mit ukrainischem Pass auch sofort arbeiten, studieren können, ohne große Probleme zu haben. Das galt ja, oder? Das gilt ja nicht für alle Geflüchteten, sondern für diese Gruppe.

Vicky: Es ist keine Selbstverständlichkeit.

Hakan: Deshalb das ist eine gute Sache. Ich habe das auch unterstützt, will aber auch darüber hinaus, dass auch die Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine das gleiche Recht bekommen. Es gibt ja einige, die aus Nigeria kommen, aus anderen afrikanischen Staaten, aus Vietnam, aus der Türkei, die hier in Deutschland angekommen sind, aber das gleiche Recht nicht haben. Und da setze ich mich gerade dafür ein. Also Stichwort wieder Ungleichbehandlung, wenn du so willst. Das verstehe ich gerade noch nicht, warum das so ist, aber kämpfe dafür, dass das sich ändert. Und wenn man sich anguckt, wie wir mit den syrischen Geflüchteten 2015 / 16 umgegangen sind klar gab es da auch eine Art von Willkommenskultur, aber Familiennachzug und viele andere Sachen waren nicht so möglich und das sofortige Arbeiten auch nicht. Deshalb müssen wir mal gucken, wie wir nicht den Eindruck erwecken bzw. nicht den Eindruck, es gibt den halt, es gibt Geflüchtete erster und zweiter Klasse. Rein rechtlich gesehen könnte man das schon so sagen. Und das da kämpfe ich auch dafür, dass wir das angleichen. Da haben wir ja im Koalitionsvertrag viele sinnvolle Sachen stehen, zum Beispiel Chancenaufenthaltsrecht. Wir haben ja über 240.000 Menschen hier in Deutschland, die geduldet sind, die teilweise nicht arbeiten dürfen. Und da wollen wir zum Beispiel gucken, dass wir Arbeitsverbot abschaffen. Wenn die Menschen tatsächlich seit Jahren hier leben und ein Teil dieser Gesellschaft sind, dann verstehe ich nicht, warum sie nicht arbeiten dürfen. Und da sind wir gerade dran.

Vicky: Ja, ich glaube auch, das ist ein ganz, ganz großer Hebel, wenn man dieses Problem angeht. Danke dafür. Und du warst Anfang des Jahres Teil unserer Diversitätskampagne „Success Is Diverse“. Und du hast mir in diesem Rahmen erzählt, dass dein Großvater eben damals aus der Türkei nach Deutschland ausgewandert oder migriert ist, um seinen Kindern und Enkelkindern, also eigentlich dir, ein besseres Leben zu ermöglichen. Heute setzt du dich selbst für bessere Integration ein, du hast gerade schon ein Beispiel genannt, was wir konkret tun müssen. Was müssen wir noch besser machen, damit Integration in Zukunft ein positiv besetztes Thema ist?

Hakan: Ja, also verschiedene Details. Also ich hatte jetzt letzte Woche beispielsweise 22 Kita-Fachkräfte bei mir, wo es darum geht, dass in den Kitas Fachkräfte da sind, die den Kindern, die, sagen wir mal, noch Sprachschwierigkeiten haben, helfen. Die sogenannten Sprach-Kitas, die müssen wir weiter fördern. Also manchmal ist es auch tatsächlich einfach die finanzielle Förderung von Programmen, die es ohnehin schon gibt, die aber vielleicht teilweise auslaufen könnten. Da setze ich mich dafür ein. Also Sprache ist wichtig, genauso Integrationskurse, die sind ja auch geöffnet für ukrainische Geflüchtete. Gleichzeitig sehe ich gerade noch nicht, dass die Mittel genau so hoch sind. Da müssen wir noch mal gucken, weil Sprache ist ganz wichtig, um schnell ein Teil dieser Gesellschaft zu werden und sich hier zurechtzufinden. Aber auch die sozialen Punkte sind wichtig. Es ist wichtig, wenn man hier arbeitet, dass man davon leben kann. Das gilt für jemanden mit Migrationsgeschichte, aber auch für jemanden ohne, dass man dann 12 € verdient. Das wird es ja ab Oktober geben, dass man sich eine Wohnung leisten kann, dass die Preise nicht so steigen, so wie es gerade noch ist, dass wir genug Wohnungen bauen für alle. Da habe ich auch in Neukölln Fälle, wo Menschen zu viert in einer 1,5 Zimmer Wohnung leben. Und das eine Kind hat eine Behinderung. Und bräuchte eigentlich einer ein eigenes Zimmer? Eigentlich. So, und da sind so die Fälle, die mir dann immer leid, also die mich wütend machen, muss ich auch sagen und wo ich dann gucke, dass sich da was ändert. Also es gibt verschiedene Probleme: Mieten, Arbeit, Integrationskurse und hier und da fehlt auch manchmal das Geld, um Sachen voranzubringen. Also da setze ich mich auf jeden Fall dafür ein, dass sich das ändert. Wir haben ja jetzt auch einen Haushaltsprozess, gerade wo es darum geht, okay, wer bekommt eigentlich jetzt was? Und da muss man mal schauen, dass man sich da auch durchsetzen kann. Mal schauen. Zum Beispiel Migrationsberatung Vicky ist auch ganz wichtig, vor allem in dieser Zeit, also für die ukrainischen Geflüchteten, dass sie eine Beratung bekommen, aber auch für alle anderen Menschen in Deutschland, die Probleme haben mit dem Aufenthalt oder vielleicht nicht wissen, wie sie das jetzt verlängern sollen usw. Da müssen wir auch die Migrationsberatung in Deutschland stärken.

Vicky: Ja, das ist sicher ein wichtiger Punkt, weil wir alle wissen, dass Deutschland letztendlich immer noch ein Bürokratiemonster ist und dass auch wir Deutschen, die hier aufgewachsen sind und sich damit schon ein Leben lang auseinandersetzen durften, an der einen oder anderen Hürde scheitern. Es ist unvorstellbar, wie das sein muss für jemand, der die Sprache gerade erst lernt und sich hier neu orientieren muss. Insofern glaube ich auch, das ist ein ganz wichtiger Hebel. Ja, jetzt bleibt mir Dir zu danken für die vielen Inspirationen, die du uns auch gegeben hast. Letztendlich kann ja auch jede und jeder von uns einen Anteil leisten, Hilfestellung leisten und mithelfen. Ich fand auch sehr schön ein Bild, das gesagt hat: Na ja, man kann in der Politik was ändern, man muss es nur tun. Und das betrifft auch jede und jeden Einzelnen von uns. Es finden Wahlen statt. Das ist mal das erste Thema. Aber man kann natürlich auch persönlich tätig werden. Also herzlichen Dank für die Inspiration. Herzlichen Dank für das schöne und immer sehr offene Gespräch, lieber Hakan, und vor allem für dein persönliches politisches Engagement.

Hakan: Sehr gerne Vicky, danke für dieses tolle Gespräch und danke, dass ich dabei sein durfte.

Vicky: Es war mir eine Freude. Ich hoffe, euch hat diese Folge von Driving Change, dem Diversity Podcast gefallen. Neue Folgen gibt es immer donnerstags und damit ihr keine Folge verpasst, abonniert uns gerne auf allen gängigen Podcastplattformen und folgt uns auf LinkedIn, Instagram und Twitter. Falls ihr Ideen habt, welche Gäst:innen ich einmal in unseren Podcast einladen soll, macht doch gerne einen Vorschlag. Ich freue mich darauf und immer über euer Feedback. Bis zum nächsten Mal, eure Vicky.

Über diesen Podcast

"Driving Change" ist der Diversity-Podcast von BeyondGenderAgenda, dem bedeutendsten Netzwerk für DE&I in der deutschen Wirtschaft.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Diversität unser Leben, die Wirtschaft und unsere Zukunft beeinflusst. Welche Rolle spielen dabei Chancengerechtigkeit und Inklusion und welche aktuellen Ereignisse verändern unsere Welt.
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